JUGENDGUIDES auf den Spuren von NS-Verbrechen vor Ort

JUGENDGUIDES auf den Spuren von NS-Verbrechen vor Ort

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Projektbeschreibung

2013 startete das Pilotprojekt „Qualifizierung zum Jugendguide in regionalen Gedenkstätten“ mit 25 Jugendlichen aus ganz Baden- Württemberg. Ziel dabei war Gewinnung und Qualifizierung Jugendlicher zur Arbeit mit Jugend- und Schulgruppen an Orten des Erinnerns an NS-Verbrechen vor Ort.

Formulierung eigener Positionen im Rahmen einer gleichgesinnten Peer-Group zu diesem Ausschnitt der Erinnerungskultur und zu deren Transfer für die Relevanz in der heutigen Gesellschaft und für jede oder jeden Einzelnen.

Entwicklung eines geeigneten Modells zur kontinuierlichen Weiterführung des Vorhabens als konstitutivem Element einer die Jugendbildung aktiv einbeziehenden Erinnerungskultur.

Zur Entstehung der Projektidee:

In Folge einer Tagung entwickelten die Fachreferate Kultur/Archiv und Jugend des Landkreises Tübingen in enger Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten Baden-Württemberg, der Arbeitsgemeinschaft für offene Jugendarbeit Tübingen, dem KulturGUT e.V. und vielen weiteren Partnern ein Pilotprojekt für Jugendliche (Zielgruppe 16-23) „Qualifizierung zum Jugend-Guide in regionalen Gedenkstätten“. Einige Gedenkstätten setzen bereits seit längerem Jugendliche zur Vermittlung ihrer Inhalte bei Schulklassenbesuchen ein. Dieses Modell setzt klassisch darauf, Jugendliche zu Experten zu entwickeln und ihnen Funktionen von „Jung-Lehrern“ zuzuordnen. Dieses Modell wurde bewusst zu einem Instrument der außerschulischen Jugendbildung weiter entwickelt. Im Werbeflyer sprachen wir als Motivatoren an: Aktuelle Bezüge des Themas „NS-Verbrechen vor Ort“ durch Kombination mit dem Thema Menschenrechte; Selbstwirksamkeit durch die in Aussicht gestellte aktive Rolle als Vermittlerin und Vermittler; Nutzen und Wertschätzung durch „würdige“ Zertifizierung und Aufwandsentschädigung für die Arbeit.

Wie wurden die Jugendlichen und jungen Erwachsenen für das Projekt geworben?

Die Jugendlichen stießen auf das Projekt im Jugendhaus, wo ein Flyer auslag. Bei einer anderen Jugendlichen brachte der Vater einen Flyer mit und „hat ihn hingelegt“. Manche erhielten die Flyer auch über einen Lehrer, der ihn seinerseits von einer Gedenkstätte erhalten hatte. Resonanz erzielten auch Kontakte der offenen Jugendarbeit an Jugendgemeinderäte. Derartige Erstimpulse mündeten des öfteren in mündliche Hinweise, Bekannte machten andere Jugendliche auf das Projekt aufmerksam. Die Jugendlichen mussten sich mit einem halbseitigen Motivationsschreiben bewerben.

Als Referenzgruppe wählten wir 20 Jugendliche (Alter 16-23, durchschnittlich 17, 12 weiblich, 8 männlich, 4 mit Migrationshintergrund) aus etwa 50 Personen aus, die sich nach einer landesweiten Ausschreibung über die offene Jugendarbeit in Baden-Württemberg für eine Qualifizierung zum Jugend-Guide beworben hatten.

 

Ablauf und Inhalte der Qualifizierung

Das Pilotprojekt begann mit einer dreitägigen Exkursion über die regionale KZ-Gedenkstätte Bisingen zur KZ-Gedenkstätte in Natzweiler-Struthof. Es schlossen sich Seminare, teilweise in Zusammenarbeit mit der Akademie für Jugendarbeit Baden-Württemberg und dem Netzwerk für Demokratie und Courage an. Schließlich führten wir mehrere Workshops durch, bei denen die Jugend-Guides zum Einsatz in einzelnen regionalen Gedenkstätten vorbereitet wurden. Gleichzeitig stellten wir auf diese Weise Kontakte für die Arbeit der Jugend-Guides in den jeweiligen Gedenkstätten her und initiierten die Zusammenarbeit mit den Experten der Gedenkstätten.

Der zeitliche Mindestaufwand zur Erreichung eines Zertifikats betrug für die einzelnen Jugendguides 40 Stunden, in Anlehnung an Schulungen zum Jugendgruppenleiter/-in. Das Projekt wurde durch Ton- und Videoaufnahmen und Einträge in Forschungstagebücher der Jugend-Guides dokumentiert. Erste Auswertungsschritte führten zu laufenden Anpassungen in Folgeveranstaltungen.

In einer Tagung am 7. und 8. November 2013 befassten wir uns generell mit der Rolle Jugendlicher in der Erinnerungskultur. Damit wollten wir einerseits unser Projekt vor dem Hintergrund anderer Jugendbeteiligungsprojekte in der Erinnerungskultur untersuchen und boten andererseits Jugendbeteiligungsprojekten gleichzeitig einen Rahmen zur Vernetzung. Die Tagung erwies sich als voller Erfolg, sie war im Kern eine Jugendtagung, von den etwa 80 Teilnehmenden waren circa 50 jünger als 26. Durch die Auswahl niederschwelliger und aktivierender Beteiligungsformen konnten während der Tagung sehr viele Jugendliche das Wort führen und sich so aktiv in den – von der Wissenschaft mit geführten – Diskurs einbringen. Gleichzeitig konnte das Tübinger Modell der Gewinnung und Qualifizierung von Jugendguides in den bundesweiten Diskurs eingebracht werden. Es gibt bereits Nachfrage aus anderen Bundesländern nach dem Konzept.

O-Töne aus den Forschungstagebüchern der Jugendlichen

„Besonders beeindruckend oder überraschend war, dass die Häftlinge im Grunde eine nahezu sinnlose Arbeit verrichteten. Unter der sie so litten.“ (Über Bisingen)

„Die Gedenkstätte an sich ist sehr eindrücklich, nachdem man sich so intensiv mit dem Geschehenen befasst hat, ist die Stimmung sehr bedrückend. Das empfinde ich aber als völlig in Ordnung, da so ein Gefühl auch eine Art des Gedenkens ist. Sehr schön ist, dass man in der Gruppe offen äußern kann wie man sich fühlt.“ (zu Natzweiler)

„Stimmt nachdenklich: dass dies hier direkt bei uns und ohne Widerstand der Bevölkerung statt gefunden hat.“

„Der Besuch hat mir gut gefallen. Die Betreuer konnten mir ihr Wissen über die Gedenkstätte gut vermitteln. Ich werde Zeit brauchen um all das zu verarbeiten. Anderen würde ich sagen, dass sie gar nicht unbedingt nach Dachau müssen, sondern viel mehr in eines der Lager auf der Zollernalb. Die Lebensgeschichten wären auch ein Punkt den ich anbringen würde. Dadurch werden viele Schicksale anschaulicher als wenn ich mit bloßen Zahlenwerten arbeite.“

„Der Besuch hat mich innerlich sehr erschüttert und erweckte bei mir die große Frage wie das alles möglich werden konnte.“

Der Ablauf in Zahlen:

  • Dienstag 14.05 bis Donnerstag 16.05.2013: Exkursion nach Bisingen und Natzweiler-Struthof
  • Samstag 22.6. und Sonntag 23.6.2013: Seminar zu Rhetorik und Didaktik
  • Dienstag, 30.7.2013: Tübinger Täter im NS-Staat - Seminar und Stadtgang in Tübingen
  • Mittwoch, 31.7.2013: Spuren jüdischen Lebens und jüdischer Kultur - Seminar und Stadtgang in Horb und Rexingen
  • Donnerstag, 1.8.2013: Antisemitismus, NS-Rassenideologie, NS-Verbrechen und Tübingen - Seminar und Stadtgang in Tübingen
  • Samstag, 7.9.2013 und Sonntag, 15.9.2013: Workshop: Ölschieferabbau und Zwangsarbeit im Steinlachtal
  • Freitag, 4.10.2013: Begegnung mit dem Holocaust-Überlebenden David Salz in Tübingen
  • Samstag, 5.10.2013: Workshop: Gedenkstätte„Vulkan“ in Haslach im Kinzigtal
  • Samstag, 12.10.2013: Workshop: Ölschieferabbau und Zwangsarbeit im Steinlachtal - Geocache
  • Samstag, 20.10.2013: Holocaust und Menschen - Seminar in Tübingen
  • Donnerstag, 7.11.2013 und Freitag, 8.11.2013: Tagung: NS-Verbrechen vor Ort und Erinnerungskultur in der Jugendbildung heute in Tübingen
  • Samstag, 30.11.2013: Kompetent vor Ort gegen Rechts - Seminar in Tübinge

Und was geschah nach der Qualifizierung?

Die Jugendguides arbeiten seit dem Herbst 2013 in verschiedenen Gedenkstätten in der Region. Einige der Jugendguide entwickelten mit Kooperationspartner eigene Projekte, an authentischen Orten der Region Tübingen. Durch Eigenrecherche und Kooperation mit dem Kreisarchiv Tübingen und der Geschichtswerkstatt wurden drei weitere Angebote des Erinnerns nicht nur für Jugendliche entwickelt:

Stadtgänge in Tübingen

Spuren von NS-Verbrechen und zu den Schicksalen der Juden in Tübingen und Umgebung sind auf den ersten Blick kaum zusehen. Dennoch hatten die Nazis vor allem in der Universität, aber auch in der Stadt Tübingen eine ihrer Hochburgen. Deshalbliegen die Schwerpunkte der Stadtführungen auf den Themen „Eliteuni der NS-Zeit“ und „Schicksale Tübinger Juden“. Stationen sind beispielsweise der Synagogenplatz, die ehemaligen Gestapo-Büros in der Münzgasse, von wo aus Beamte vor70 Jahren die Deportation von Juden organisierten, oder das Schloss Hohentübingen, in dem die Universität ein Rassenbiologisches Institut betrieb.

 

Auf den Spuren des Mössinger Generalstreiks

Am Tag der Ernennung Adolf Hitlers zum deutschen Reichskanzler (30. Januar 1933) und am Folgetag demonstrierten viele Arbeiter aus Mössinger Fabriken gegen die „Machtergreifung“. Ihr „Mössinger Generalstreik“ gilt als der deutschlandweit einzige Versuch, die Übergabe der Staatsmacht an Adolf Hitler frühzeitig durch einen Generalstreik zu vereiteln. Jugendguides folgen den Etappen des damaligen Demonstrationszugs.

 

Geocache zum „Projekt Wüste“ um Dusslingen

Zur Gewinnung von Rohöl aus Schiefergestein ließ das Deutsche Reich 1944 und 1945 zehn „Werke“ am Fuß der Schwäbischen Alb errichten. Für die Arbeiten unter dem Tarnnamen „Projekt Wüste“ richtete die SS am Fuß der Schwäbischen Alb Außenlager ihres KZ Natzweiler-Struthof ein. Jugendguides erkunden bei einer Geocache-Exkursion eines der ehemaligen „Wüste“-Werke bei Dußlingen. Startpunkt: Parkplatz des Karl-von-Frisch-Gymnasiums.

Die Jugendguides für Führungen an diese Orte des Erinnerns können mittlerweile über die vhs Tübingen gebucht werden.

 

Projektträger
Jugendforum Oberes Steinlachtal e.V.
Schweriner Str. 20
72116 Mössingen
Deutschland
Themenfeld
Region, Partner
Infos
Zuletzt geändert: 
22.03.2016 - 16:11
Inhaltstyp: 
projekt
Beitrag Id: 
252570