Ausgangsidee: Der Stadtjugendring Stuttgart e.V. ist der Dachverband von Jugendverbänden, -gruppen und -initiativen in Stuttgart und vertritt Anliegen und Interessen junger Menschen in dieser Stadt. Zu den wichtigsten Wesensmerkmalen unserer Arbeit zählen Förderung und Erhalt von Selbst-bestimmung, Selbstorganisation, Gemeinschaftssinn, demokratischer Mitverantwortung und sozia-lem Engagement.
Bei der Kommunalwahl 2014 hatten erstmals Jugendliche im Alter von 16 bis 17 Jahren in Baden-Württemberg das Recht zu wählen. Diesen bedeutsamen Fortschritt hinsichtlich der demokratischen Partizipationsmöglichkeiten junger Menschen nahm der Stadtjugendring Stuttgart e.V. zum Anlass das Projekt „Wahllotsen on Tour – Deine Zukunft mitgestalten!“ durchzuführen.
Zielsetzung: Im Fokus des Projekts stand, jugendlichen Erstwähler*innen die Bedeutung demokrati-scher Partizipation und insbesondere den positiven Einfluss der Kommunalwahl auf ihre konkrete Lebenswirklichkeit zu vermitteln und sie dazu zu motivieren, von ihrem aktiven Wahlrecht Gebrauch zu machen. Wichtig war hierbei auch, unterschiedlichste Schüler*innen zu erreichen, indem wir Real-schulen, Gymnasien, Förderschulen sowie Berufsschulen aufsuchten und zusätzlich an öffentlichen Plätzen anzutreffen waren.
Dabei stellte die Kommunalpolitik einen zentralen Bezugsrahmen für Jugendliche dar: Erstens betref-fen kommunalpolitische Prozesse die Lebenswelt und den Alltag junger Menschen ganz direkt, die Auswirkungen von politischen Entscheidungen sind so greifbar wie auf keiner anderen Entschei-dungsebene. Zweitens bietet die Kommunalpolitik ein wichtiges Lern- und Betätigungsfeld für (Ju-gend-) Partizipation: Jugendliche bringen Expertenwissen in ihren lebensweltlichen Belangen mit und haben die Möglichkeit über verschiedene Kanäle der Jugendbeteiligung ihre Interessen selbst zu ver-folgen und gegenüber kommunalpolitischen Entscheider*innen zu vertreten.
Vor der persönlichen Entscheidung, welcher Partei, Person oder welchem Programm diese Jugendlichen ihre Stimme letztlich am Wahltag geben, ist es bedeutsam, dass die Jugendlichen grundsätzlich (Kommunal-)Wahlen als demokratischen Prozess wahrnehmen. Sie bieten eine Chance zur Gestal-tung unserer pluralistischen Gesellschaft und auch des eigenen Umfelds. Gleichzeitig ist es auch wichtig zu wissen, wie „richtig“ gewählt wird. Sind sich Jugendliche dieser Chance nicht bewusst oder besitzen nur unzureichend Wissen darüber, wie Wahlen funktionieren, so kann dies zu einem Hin-dernis bei der Beteiligung an Wahlen werden.
Durchführung: Die „Wahllots*innen“ (WL*innen) - 20 Jugendliche im Alter von 14 bis 23 Jahren - wurden im Rahmen einer Multiplikator*innen-Schulung nach dem Konzept der Peer Education ausgebildet. Bei der Auswahl wurde neben der Berücksichtigung von Diversitätskriterien auch die Parti-zipation von Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten/Milieus angestrebt. Das Team setze sich aus Schüler*innen, FSJler*innen, Bundesfreiwilligendienstleistende, Studierenden und Azubis zusammen, die in sieben unterschiedlichen Stadtteilen Stuttgarts zu Hause sind. Einige unter ihnen engagieren sich auch im Jugendrat Stuttgart. Zudem hatten wir nicht-wahlberechtigte Jugendliche im Team, wie unter-16-Jährige und nicht-EU-Bürger.
Inhalte der WL*innen-Ausbildung waren politische Bildung, Wissen zur Kommunalpolitik und Kommunalwahl, Entwicklung und Konzeption der Aktionstage an den Schulen sowie praktische Übungen zur Kommunikation. Die Schulung wurde in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung durchgeführt.
Die WL*innen hatten die Aufgabe bei Gleichaltrigen durch Dialog auf Augenhöhe und interaktive Wissensvermittlung Interesse für die Kommunalwahl 2014 sowie weitere politische Beteiligungsfor-men wie dem Jugendrat zu wecken. Dazu fuhren sie in Teams von 4-6 WL*innen mit einem Demokra-tie-Bus durch Stuttgart und warben auf Pausenhöfen und in Klassenzimmern an 22 Stuttgarter Schu-len für die Kommunalwahl. Sie erreichten damit rund 3000 Erstwähler*innen aus Stuttgart und der Region. Die Aktionen im Projekt setzten sich im Wesentlichen aus zwei Bausteinen zusammen:
1. Der „Demokratie-Bus“: Dieser durch den Stadtjugendring Stuttgart in Kooperation mit der Koor-dinierungsstelle Jugendbeteiligung der Stadt Stuttgart initiierte und äußerlich auffällige Demokratie-Bus suchte zwischen Februar 2014 und Mai 2014 in Stuttgart 30 ausgewählte Schulen und Plätze auf, an denen Jugendliche im Erstwähleralter anzutreffen waren.
Im schulischen Kontext kam der Demokratie-Bus im Rahmen eines Schulvormittags zu 22 Schulen, an welchen den teilnehmenden Jugendlichen ein Lernzirkel mit verschieden Stationen zur Kommunal-wahl in der Länge einer Schulstunde pro Klasse geboten wurde. Die interaktiven Stationen wurden von den WL*innen betreut und beinhalteten ein allgemeines Quiz mit Fragen und Bilderrätseln, Infos zum Haushalt, einen Infotisch mit Materialien der LpB, einer Wand zur Auseinandersetzung mit der Lebenswirklichkeit in Stuttgart sowie eine jugendgerechte Erklärung zum Wahlvorgang und dem Stimmverfahren.
Mit diesen Stationen bietet der Demokratie-Bus einen außergewöhnlichen Lern- und Begegnungs-raum, in dem Jugendliche an den verschiedenen Stationen über Demokratie, Partizipation und Betei-ligung ins Gespräch kommen. Das niederschwellige Angebot weckte über Gespräche politisches Inte-resse und brachte den Jugendlichen nah, was Kommunalpolitik mit ihrem Lebensalltag zu tun hat. Das Erkennen von demokratischen Werten sowie das Bewusstsein selbst ein Teil der demokratischen Gesellschaft zu sein, waren als Ziele für die Gespräche formuliert.
2. Die „WL*innen“: Mit Informationsmaterial ausgestattet waren die WL*innen im Zeitraum von Februar bis Mai 2014 an unterschiedlichen Standorten unterwegs. Sie waren zusätzlich zum Demo-kratie-Bus in einigen Schulklassen und auf SMV-Veranstaltungen, hatten je eine Aktion auf dem Markt- und Schlossplatz und waren an U-Bahn-Stationen sowie auf Stadtfesten anzutreffen.
Sie suchten hier das Gespräch mit Jugendlichen um sie über die Kommunalwahl zu informieren und zur Wahlbeteiligung zu motivieren. Für die beteiligten Akteure lag in diesen Gesprächen die Chance sich über die Wahlen, unsere Demokratie und die eigenen Lebenswirklichkeiten auszutauschen. Ein-stellungen wie beispielsweise „Wählen ändert/bringt nichts!“ wurden hinterfragt und Fragestellun-gen „In was für einer Gesellschaft/Stadt willst Du leben?“ zur Diskussion gebracht. Die angesproche-nen Jugendlichen wurden dazu angeregt sich als handlungsmächtige Akteure wahrzunehmen, die sich durch ihren Beitrag als Wähler*in und als politisch Interessierte*r an der Gestaltung unserer demokratischen Gesellschaft und letztlich auch ihrer Lebenswirklichkeiten beteiligen können.
Öffentliches/mediales Interesse: Da es zuvor kein vergleichbares Projekt in Stuttgart gab, erregten wir in der Region und sogar in Frankreich großes mediales Aufsehen. Bereits unser dritter Aktionstag am Geschwister-Scholl-Gymnasium wurde von einem Kamerateam des französisches regionalen Senders France 3 Alsace dokumentiert und ausgestrahlt. Hier kamen die WL*innen an Stationen rund um und im Demokratie-Bus und zeitgleich in einzelnen Klassenzimmern mit mehr als 250 potenziel-len Erstwählerinnen und Erstwählern ins Gespräch.
Im März stand der Demokratie-Bus einen Nachmittag lang auf dem Marktplatz direkt vor dem Stutt-garter Rathaus. Im Rahmen einer Pressekonferenz zur Kommunalwahl und Vorstellung des Stadt-bündnisses „Wählen mit 16“ war neben Jugendlichen und Passanten auch Oberbürgermeister Fritz Kuhn an diesem Aktionstag als Schirmherr zu Gast im Demokratie-Bus.
Am vorletzten Schul-Aktionstag im Mai kurz vor der Kommunalwahl filmte ein Team des SWR am Karls-Gymnasium die WL*innen bei ihrem letzten Einsatz mit dem Demokratie-Bus.
Neben diesen TV-Beiträgen berichteten auch zahlreiche Journalisten unterschiedlicher Zeitungen über das Projekt und führten vor Ort Interviews mit den WL*innen und teilnehmenden Schü-ler*innen und Lehrkräften durch. Insgesamt bekam das WL*innen-Team viele positive Rückmeldun-gen für das innovative und interaktive Angebot.
Große Sichtbarkeit unseres Projekts und des WL*innen-Teams erreichten wir zudem durch die Aus-strahlung eines kurzen Werbebeitrags auf den Video-Leinwänden in den Stuttgarter U-Bahn-Stationen.
Internetauftritt: Desweiteren wurde zu Beginn des Projekts eine Projekthomepage eingerichtet. Sie enthält neben Infos, Tourdaten und weiterführenden Links im Blog-Bereich aktuelle Beiträge, Fotos, Videos zu den Einsätzen des WL-Teams und zählt zahlreiche Besucher. (http://www.wahllotsen.de)
Nachhaltigkeit: Die WL*innen sowie weitere interessierte Jugendliche werden auch nach Projekten-de regelmäßig zusammenkommen, um in einem offenen, niedrigschwelligen Beteiligungsrahmen zu jugend- und (kommunal- )politischen Themen als „Expertinnen“ und „Experten“ ins Gespräch zu kommen und/oder bei zukünftigen Projekten in Aktion zu treten.